Großer Reisebericht:
Bulgarien mit dem Geländewagen
Ein 4x4-Reisetipp für den nächsten Sommer: Bulgarien - das Land, das ab 2007 der EU angehört - ist unkompliziert individuell zu bereisen. Verlässt man die Hauptwege und wählt die unkonventionellen Verbindungen, ist „Offroaden“ an der Tagesordnung. Ein ausführlicher Reisebericht von Dr. Günter Kuseschin ...
03.12.2006
"Die Karte kann nicht gelesen werden" oder "Die Transaktion wurde abgebrochen", so die ernüchternden Rückmeldungen der Bankomaten in Vidin, im nordwestlichsten Zipfel Bulgariens. Mittlerweile ist es der dritte Automat, den ich ausprobiere und der den Dienst versagt.

Schweißgebadet und vollkommen fertig stehe ich nach 15 Stunden Fahrzeit und 1.100 km bei Temperaturen um 35 Grad vor dem Bildschirm und fluche vor mich hin. Das Auto verlangt nach Treibstoff, der Tankstellenbetreiber nach Geld. Übliche Kreditkarten haben abseits der Hauptverbindungsstrecken keinen Zweck, außer es ist eine der Firma "Transcard". Inzwischen wird es auch schon finster, um einen geeigneten Schlafplatz müssen wir uns auch noch kümmern. Neben dem Ärger, dass wir zu keinem Geld kommen, bleibt natürlich noch der beunruhigende Gedanke manipulierter Ausgabeautomaten.

Die Anfahrt über Slowenien, Kroatien und Serbien ist bis auf die erdrückende Hitze problemlos, das endlos lange schwarze Asphaltband ist enorm aufgeheizt, die Sitzkästen beim Defender verursachen bei Berührung Brandblasen. Zirka 50 € Mautgebühr muss man für eine Strecke bereithalten. Wir überqueren nach der serbischen Stadt Zajecar die Grenze und sofort werden uns von bulgarischer Seite Rechnungen präsentiert; einmal für die "Desinfektion" des Autos und dann noch für die Vignette, die für die Nutzung des Straßennetzes Pflicht ist. Wir werden auf die LKW-Spur verwiesen und befürchten lange Wartezeiten, das Gegenteil ist der Fall; Ein Blick in die Pässe und auf die grüne Versicherungskarte und schon hoppeln wir auf der von Schlaglöchern übersäten Straße dahin. Die soeben in Neuauflage erschienene Straßenkarte von freytag & berndt (Maßstab 1:400.000) dient nur der groben Orientierung und wird sich in weiterer Folge als ziemlich fehlerhaft erweisen, die (wenn überhaupt vorhandenen) Wegweiser in cyrillischer Schrift geben uns Rätsel auf. Aber schon nach wenigen Tagen steigen wir im Fach "Lesen" von der Vorschulklasse in die zumindest dritte Klasse auf.

Nach den erfolglosen Versuchen Geld abzuheben und die auf der Karte eingezeichneten Campingplätze zu finden fahren wir in mittlerweile vollkommener Finsternis - in Bulgarien, so Lektion 1, schaltet man auch in der Nacht kein Licht beim Auto ein - einen Feldweg hinein und legen uns sofort schlafen. Morgen werden wir wieder klarere Gedanken fassen können.

Zeitig stehen wir auf und frühstücken, ein heißer Tag kündigt sich an. Das Wichtigste: Wir brauchen Bargeld. Die Bank in Dimovo, die laut Schild zwischen 8 Uhr und 11 Uhr geöffnet ist, hat um 8:30 Uhr geschlossen, was bei einem darauf angesprochenen Polizisten nur ein Schulterzucken hervorruft. Schließlich in Belogradcik führt mich ein Wachbeamter von einer bankomatlosen Bank zu einem Geldausgabeautomaten einer weiteren Bank und übergibt mich dem dortigen Wachmann, unter dessen Aufsicht ich endlich, wiederum nach einigen Fehlversuchen, die ersehnten Scheine ausgespuckt bekomme. Was kostet die Welt? Wir sind überglücklich, wir dachten schon trotz zweier Kredit- und einer Bankomatkarte sind wir in diesem Land zahlungsunfähig. Die Tankstelle im Ort macht mit uns das Geschäft ihres Lebens und wir können uns im „Magazin“ mit frischem Brot, Käse und Gemüse eindecken. Die Beträge für die Lebensmittel sind minimal, bei unseren (bescheidenen) Ansprüchen ans Essen reichen zwei Euro pro Tag, die Flasche besseren Weines, die zur allabendlichen Gepflogenheit wird, kostet fast das dreifache.

Die Stadt Belogradcik liegt romantisch unterhalb von bizarren Felsen, am Hügel oben drohnt eine riesige Burg umgeben von einer noch mächtigeren Mauer. Wir wollen zum nahe gelegenen See (jazero Rabisa), der nicht leicht zu finden ist, vorerst landen wir bei einer der vielen erschlossenen, über das Land verstreuten Höhlen, deren Zugang aber versperrt ist.

Die Dörfer sind fast durchwegs in einem ziemlich desolatem Zustand, kaum vorstellbar, dass hier noch jemand wohnt. Verfallene Häuser, halb eingestürzte Dächer, in der Straße sind mehr Löcher als durchgängiger Belag. Oft sind die Landstraßen in einem besseren Zustand als im Dorf selbst, vielleicht ist dies durch unterschiedliche Zuständigkeiten begründet.

Mit der Wasserversorgung werden wir kein Problem haben; Immer wieder gibt es gefasste Brunnen am Wegrand mit herrlich kühlem Trinkwasser, wo wir unseren Kanister auffüllen können. In manchen Gegenden in den Rhodopen befinden sich Brunnen oft sogar nur in 100 Meter Abständen, überall sprudelt Wasser aus dem Berg. Auch in jedem Dorf lässt sich zumindest ein Brunnen finden, manchmal besteht dieser nur aus einer Steinmauer mit Rohr, manche sind schön mit Figuren verziert, an einigen ist ein Spiegelchen angebracht und ganz im Süden stehen meist auch Trinkbecher oder Häferl in einer Nische.

Auf einer Anhöhe direkt über dem See im Schatten von riesigen Bäumen verbringen wir den Tag. Die Ufer sind ziemlich verschlammt und laden nicht unbedingt zum Baden ein, auch das Müll-Mitnehmen hat sich hier noch nicht ganz durchgesprochen. Diese Erfahrung müssen wir zum Glück nicht überall machen. Weiter südlich zeigt sich eine liebliche Landschaft, sanfte Hügel, teils mit bebauten Feldern, teils bewaldet. Da und dort sieht man Menschen am Feld arbeiten, die Pferdefuhrwerke mit eisenbeschlagenen Holzrädern stehen am Rand, ein fast zu idyllisches Bild, wüsste man nicht um die harte Arbeit zur kargen Existenzsicherung Bescheid.

Im Geländegang kriechen wir ein steiles Felssträßchen hinauf auf ein Stückchen Wiese, wo wir übernachten. Spät abends kommt noch ein Pferdefuhrwerk mit einer Riesenladung Heu die Straße herunter, unvorstellbar auf dem steinigen und mit tiefen Furchen gezeichneten Weg.

Von Ciprovci geht es dann am nächsten Tag weiter nach Martinovo, wir wollen auf einen Berg hinauf, in der Karte ist eine Straße eingezeichnet, kurz nach dem Ort ist aber schon Schluss: Mehrere Wege enden im Nirgendwo, wir nehmen GPS-Empfänger und Notebook mit der Garmin-Topo-Karte zu Hilfe, aber hier ist gar keine Straße eingezeichnet.

Südlich von Montana fahren wir auf einer Nebenstraße in den Nationalpark „Vracanski Balkan“; Lektion 2, weiche nie einem Schlagloch aus, sonst fährst du unweigerlich in zwei andere. Der Bach, den wir zur Abkühlung nutzen, macht den heißen Nachmittag erträglich. Nach dem Ort Gorno Ozirovo scheint die Welt zu Ende zu sein: Ein tiefer Riss quer über die Straße, dann lässt sich nur mehr erahnen, dass hier einmal der Weg weiterführte. Kurz danach wird es wieder besser, allerdings ist die Straße ziemlich zugewachsen, zum Rand hin immer wieder abgebrochen, kaum mehr als eine Wagenbreite steht zur Verfügung. Nach ca. 10 Kilometer ist der Pass erreicht. In der Nord-Süd-Verbindung führt eine Asphaltstraße über den Pass, unsere gewählte Route wird anscheinend nicht mehr verwendet. Wir biegen nochmals in einen Seitenweg ab, wo wir dann an einem schönen Platz den Rest des Tages verbringen und übernachten.

Zwei Dinge zeichnen sich jetzt schon ab: Das Übernachten irgendwo in der Gegend, vor allem in den höheren Regionen, stellt in diesem Land kein Problem dar. In vier Wochen müssen wir keinen Campingplatz aufsuchen und auch kein Zimmer nehmen. Und das Fahren auf unbefestigten Wegen oder auch abseits dieser in allen Schwierigkeitsgraden steht auf der Tagesordnung. Und das Alles noch dazu in schöner Landschaft. Das ist genau das, was wir mögen.

Wieder unterwegs fahren wir über ein ausgedehntes Almgebiet auf zirka 1400 m Höhe, kaufen im Dorf ein und probieren erstmals Banica, das ist Schafkäse in Blätterteig, bulgarisches „fast-food“, welches wir in Folge immer kaufen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Südlich von Barzija geht es dann eine Passstraße hinauf und auf einem Seitenweg weiter bis zum Fuß des Berges Kom, hart an der serbischen Grenze.

Am nächsten Tag befahren wir weiter östlich die Iskarschlucht, bei Gara Lakatnik „klebt“ eine kleine Holzhütte weit oben in den steilen Felsen, bei Ljutibrod gibt es die Ritlite, eine ungewöhnliche Felsformation – wie aufgeschnittene Brotscheiben stehen hier die Felsen nebeneinander, zu besichtigen. Die Hitze ist heute fast unerträglich, nach groben Orientierungsproblemen schlagen wir unser Lager in der Nähe von Teteven auf, wo wir uns im Bach ordentlich waschen und abkühlen können. Apropos Lager aufschlagen: Auch bei dieser Reise schlafen wir im umgebauten 110er; da die Alu-Kiste am Dach das wenig gebrauchte Zeugs fasst und die Dinge zum täglichen Gebrauch im unteren Stauraum Platz haben, können wir uns abends einfach hinten hinlegen ohne etwas aufräumen zu müssen. Es ist für uns die optimale Lösung.

An der Tankstelle in Teteven müssen wir uns eine neue Vignette besorgen, der Mann entwertet sie für das falsche (schon abgelaufene) Monat und auf meine Reklamation hin locht er sie einfach ein zweites Mal, das nennt man bulgarische Lösung. Wir behalten die Rechnung auf, um eventuellen Komplikationen bei Kontrollen vorzubeugen. Positiv überrascht bin ich vom Dieselverbrauch, der trotz Dachträger und hoch darüber stehender Alukiste bei neun Liter liegt. Bei der Anreise über die Autobahn waren es doch 13 bis 14 Liter.

Diese Gegend hier scheint von inländischen Touristen zu leben; es gibt viele Geschäfte und Restaurants, Schwimmteiche und Pools mit Hütten zum Vermieten. Bei uns würde es lächerlich wirken: Schwimmbecken in der Größe wie sie zu Hause jeder Pool-Besitzer hat, werden hier zum Anlass genommen, zehn Gästehütten aufzustellen und an Urlauber zu vermieten.

Wir nehmen heute die Straße zur Berghütte des Vezen in Angriff, leider spielt das Wetter nicht mit, es nieselt und dichter Nebel versperrt uns großteils die Sicht. Wenigstens haben wir eine Ausrede, um die restlichen Höhenmeter des auf 2.200 m gelegenen Gipfels nicht erwandern zu müssen.

Der nächste Tag wird der einzige komplett verregnete Tag unseres gesamten Aufenthaltes werden. Wir verbringen ihn in einem kleinen Seitental, wo sich die Neureichen ihre Chalets hinbauen lassen. Am späteren Nachmittag suchen wir noch zwei Gaststätten auf, wo wir uns jeweils für wenige Cents Kaffee und Tee servieren lassen.

Die zwei Gebirgspässe, darunter der Trojanski-Pass auf 1525 m Seehöhe, die wir heute unter die Räder nehmen, versinken großteils im Nebel. In Trojan selbst, dem größeren Ort in der Gegend, versorgen wir uns mit Lebensmittel und Souvenirs, alle möglichen nützliche und auch unbrauchbare Dinge aus Keramik werden hier angeboten. Der Preis ist so niedrig, dass wir auf das Handeln vergessen, wahrscheinlich wäre es aber angebracht gewesen.

Weiter südwestlich fahren wir durch Koprivstica, einen herausgeputzten Touristenort ohne Touristen, bekannt wegen seiner aufwendig gestalteten Häuserfassaden aus alter Zeit und landen dann für zwei Nächte in der Nähe von Starosel auf einer schön gelegenen Wiese mit Fließwasser, sprich einem Bach. Einzig ein neugieriger Hirte mit seiner Schafherde kommt in dieser Zeit vorbei.

Nach einem herrlichen Frühstück mit Spiegeleiern lernen wir die Tücken des bulgarischen Straßenbaues kennen: Die „Hauptstraße“ nach Starosel erweist sich als nicht befahrbar, eine Winde oder ein Seilzug würden doch eine gewisse Sicherheit geben, wenn man nur mit einem Auto unterwegs ist. Wir können es gar nicht glauben und nehmen an der Abzweigung doch den asphaltierten Weg, vielleicht stimmt ja wieder einmal die Karte nicht, gelangen hier aber auf den Berg Bogdan, wo die Straße endet. Also fahren wir retour auf die Straße, wo wir vor zwei Tagen hergekommen sind. Wir halten uns Richtung Süden, in Kricim fahren wir durch die über 40 Kilometer lange Schlucht des Flusses Vaca, wo an mehreren Stellen Staumauern zur Energiegewinnung errichtet werden. Zirka in der Mitte der Schlucht biegen wir nach Curukovo ab, hinter dem Dorf wird der Weg miserabel, Bauarbeiter können uns nicht wirklich Auskunft geben, wohin das Sträßchen führt. Es fällt oft das Wort Persenik, laut der Karte gibt es einen über 2000 Meter hohen Berg namens Golam Persenik, eigentlich wollen wir da nicht hinauf und so übernachten wir auf ungefähr 1500 Meter Seehöhe. Am nächsten Tag kehren wir um, über eine Stunde brauchen wir für die zehn Kilometer zurück auf die Hauptstraße. Bei Devin halten wir uns ostwärts, auf der Karte sind sieben Tunnels eingezeichnet, in Wirklichkeit gibt es keinen einzigen. Lektion 3, traue nie einer Karte, auch wenn sie erst kürzlich neu aufgelegt wurde.

Siroka-Laka liegt auf 1000 Meter Höhe, auffällig viele junge Menschen trifft man hier, es sieht ein bisschen nach „Aussteigerort“ aus. Laut Reiseführer ist es ein überteuerter Ort, die Häuser sind hübsch herausgeputzt, die Gaststätten und Souvenirläden warten auf Touristen.

Bei Progled glaubt man dann, am Semmering zu stehen; ein riesiges Skigebiet, Hotelburgen, rege Bautätigkeit, im Winter muss es sich hier voll abspielen. Wir flüchten nach Norden Richtung Laki, in der Nähe eines Observatoriums auf fast 2000 Meter finden wir ein angenehmes und ruhiges Plätzchen. Es ist eine tolle Gebirgslandschaft, grüne Almwiesen wechseln mit Wäldern und kleinen bebauten Feldern.

In Laki frischen wir Proviant auf, Wein ist besonders wichtig, er ist nicht in jedem Ort zu bekommen. An die 25 verschiedene Weine werden wir am Ende unserer Reise probiert haben und – wir sind zwar keine Weinkenner – sie munden durchaus. Weiters steht heute noch auf dem Programm: Einmal grob verfahren und einmal umkehren müssen wegen schwieriger Wegverhältnisse. Analaog zur „Super Karpata“ könnte man hier die „Super Rodopi“ veranstalten. In der Nähe von Manastir, einem hübschen Bergdorf – hier gibt es übrigens die größte „Brunnendichte – schlagen wir unser Lager auf und lassen uns das selbst gekochte Essen schmecken. Der Abend klingt in Gemeinschaft mit Tausenden von Fliegen, die das Auto als Sitzplatz bevorzugen, und Dutzenden von Gelsen, die es eher auf uns abgesehen haben, aus.

Am nächsten Morgen realisieren wir nach einigen Kilometern, dass wir ziemlich im Kreis gefahren sind und das uns schon bekannte Observatorium taucht wieder vor uns auf. Dutzende von Mountainbikern mit Startnummern am Rücken sind heute in den Waldwegen unterwegs, anscheinend sind wir mitten in ein Rennen geplatzt. Die Wege, die wir heute befahren sind durchwegs in sehr schlechtem Zustand, mal geht es durch den Wald, mal an steilen Berghängen entlang durch kleine Siedlungen, auch das kleinste Fleckchen wird hier landwirtschaftlich genutzt. Unsere Stimmung ist heute etwas gereizt, Ingrid hat langsam genug von den schlechten Wegen, die sie in andauernde Gespanntheit versetzen und auch ich merke, dass es mir schon zuviel wird. Schließlich in Rudozem, einem größeren Ort, treffen wir beim Erfragen der Richtung auf einen etwas deutsch sprechenden Mann, der uns aufgrund unserer Nummerntafel anlacht: Er sei öfters in Graz, kaufe dort Autos und überstelle sie nach Bulgarien, um sie wieder zu verkaufen.

Am nächsten Tag verbringen wir viele Stunden ganz geruhsam an einem Bach bei schönstem Wetter und lassen uns die Sonne auf den Bauch scheinen. Wir befinden uns in der Nähe von Smiljan, am späteren Nachmittag besichtigen wir die Höhle Uchloviza und bekommen eine „Privatführung“; eigentlich gibt es nur Gruppenbesichtigungen, da aber für heute niemand mehr zu erwarten ist und wir uns schon die 900 Meter zum Höhleneingang hinauf gequält haben, machen die beiden Damen für die Gegenleistung von 10 Lew eine Ausnahme. In perfektem Englisch bekommen wir alles Wissenswerte und diverse Legenden erzählt, und die Höhle mit all ihren Erscheinungsformen ist auch ziemlich beeindruckend.

Erstmals haben wir hier eine Polizeikontrolle, mehrmals spricht der Beamte seinen Satz „I am from the bulgarian police, I want to check your identities“. Wir glauben ihm und übergeben unsere Pässe, schließlich trägt er auch eine Warnweste mit der Aufschrift „Police“ und laut Information des Außenministeriums zeichnet in Bulgarien einen echten Polizisten eben das Tragen einer Warnweste aus!

Auf dem weiteren Weg nach Smoljan kommen wir doch wieder nicht den Tücken der bulgarischen Straßen aus: Steil aufwärts geht der Weg, etwas mehr als Wagenbreite, schließlich landen wir bei einem Bauernhof, es gibt keine Umkehrmöglichkeit, ich muss rückwärts schieben, anscheinend war unten bei der Abzweigung doch der noch schlechtere Weg der richtige. Nun geht es in eine Art Hohlweg über, Längsfurchen, Querrillen, steil hängende Kurven, der Dachträger sammelt die tief herunterhängenden Äste ein, dann wird es felsig. Es gibt kein Zurück mehr, ich trete voll ins Gas, die Reifen rauchen und es stinkt fürchterlich nach Gummi, nun noch eine Böschung hinauf, Vollgas, und wir stehen auf einer schön asphaltierten Straße!

Einen Kilometer weiter – eine schöne Waldlichtung – wir sind inzwischen wieder auf zirka 1.400 Meter angelangt, werden wir die nächsten zwei Tage verbringen.

Smoljan selbst ist eine lebendige Stadt, in der Fußgängerzone präsentieren sich die Menschen teils in ausgefallener Kleidung und ungewöhnlichen Frisuren, die Frauen sparen nicht mit Schminke, typisch östlicher Charme. Wir fühlen uns gar nicht mehr wohl unter so vielen Menschen, erledigen die notwendigen Einkäufe, telefonieren nach Hause und fahren weiter in die Berge nahe zur griechischen Grenze. Nach einer lange dauernden Polizeikontrolle (anscheinend waren es wieder „echte“ Polizisten, sie tragen ja auch die Warnwesten!) fragen wir in dem Dorf Mugla nach dem Weg, ein Junge meint, die Brücke sei zerstört, es gäbe kein Weiterkommen. Wir denken uns eine Brücke ist ja nicht unbedingt nötig, fahren wir eben durch den Fluss, aber schon nach 4 Kilometern zeigt sich, was Sache ist: Ein Felssturz macht die Weiterfahrt unmöglich. Links geht es ungefähr 50 Meter senkrecht die Schlucht hinunter, rechts der steile Felshang aus dem das Gestein heraus gebrochen ist. Wir müssen umkehren. Schade – das wäre sicher ein traumhaft schöner „Abstecher“ gewesen.

Wieder in Smoljan geht es weiter über einen Gebirgspass, wo wir übernachten und am nächsten Tag nach Dospat, an einem großen See gelegen, fahren. Zu unserem Mittagessen am See gesellt sich ein Schafhirte mit dem wir uns ein bisschen unterhalten können. Die Einladung in sein nur wenige Kilometer entferntes Haus schlagen wir aus, wir möchten noch die Straße entlang des Sees auskundschaften. Tiefblau liegt das Gewässer da, umrandet von Bergen und Wäldern, die teilweise bis zum Ufer reichen, ein wirklich idyllischer Anblick.
Einige Kilometer nach Sarnica am Ende des Sees beenden wir diesen Tag. Unser Abendessen wird noch von einer Bäuerin, die verzweifelt ihre Kuh sucht, unterbrochen. Sorgfältig durchsucht sie die Wiese nach allfälligen Spuren, auch wir können ihr nicht weiterhelfen. Die Gelsen und die aufkommende feuchte Kälte treiben uns früh ins Bett.

Schon früh am Morgen marschieren rund 20 Frauen und Männer am Auto vorbei; entweder gibt es weiter hinten noch Felder auf denen sie arbeiten oder sie sammeln Beeren und Pilze, die sie dann verkaufen. Auf unserer Weiterfahrt werden wir dann mit der weit verbreiteten Armut des Landes und ihrer Menschen konfrontiert: Ganze Siedlungen kleinster „Hütten“ aus Tannenzweigen, notdürftig mit zerrissenem Plastik überdeckt, säumen den Weg. Ist es für uns schon schwer vorstellbar wie die Leute in den halb verfallenen Häusern, die in den ländlichen Gegenden weit verbreitet sind, wohnen, so stehen diese Menschen hier noch eine Stufe tiefer auf der Sozialleiter.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir wieder an einem See, dem jazero Batak. Einige Fischer haben hier ihre Zelte aufgeschlagen, oft hat jeder von ihnen vier bis 5 Angeln zur Aufsicht, trotzdem dauert es Stunden bis einmal ein verwertbarer Fisch am Haken hängt. Leider wird hier viel Müll liegen gelassen, sonst wäre es wohl ein Platz, der länger zum Verweilen einlädt.

Auf dem Bauernmarkt in Velingrad füllen wir unsere Vorräte, auch eine eigene Weinhandlung finden wir hier. Über den Jundola-Pass gelangen wir zum jazero Belmeken und würden wir eine Reihung der schönsten Plätze vornehmen, bekäme dieser See wohl den ersten Platz. Etwas über 1.900 Höhenmeter liegt der Stausee eingebettet zwischen 2.600 Meter hohen Bergen im Nordwesten und 2.300 Meter hohen Bergen im Südosten. Eine Schotterstraße führt am See entlang, dazwischen gibt es große Wiesenflächen durchbrochen von Latschen, die zum Campieren einladen.

Nach zwei geruhsamen Tagen an diesem wunderschönen Ort bezwingen wir noch den über 2.000 Meter hohen Pass und fahren nach Borovec. Wandertourismus im Sommer, Schitourismus im Winter – hier herrscht reges Treiben – für uns Grund genug weiter nach Beli Iskar und dann durch den Rila-Nationalpark Richtung Süden zu fahren. Idyllisch führt die Straße dem Gebirgsbach entlang, es gibt eine Fülle von Rastplätzen, die heute am Sonntag und bei schönstem Sonnenschein von vielen Einheimischen zum Grillen und Faulenzen genutzt werden. Nach einigen Kilometern zwingt uns abermals die fehlerhafte Landkarte zur Umkehr: Die Straße ist nicht durchgängig nach Süden befahrbar (und sie war es auch nie), ziemlich verärgert müssen wir unseren Plan verwerfen und uns eine andere Route zusammenstellen.

Im Rila-Nationalpark merkt man erstmalig Beschränkungen, die das abseits der Hauptstraße Fahren betreffen: Angehäufte Erdhügel oder Ausbaggerungen verhindern das Abbiegen in Seitenwege, auch Schranken sind da und dort sichtbar. Es ist auch der bekannteste Park, kaum 100 Kilometer südlich der Millionenstadt Sofia gelegen.

Nach etwas Suchen finden wir doch noch ein schönes Plätzchen direkt an einem Bach, wo wir noch die letzten Sonnenstrahlen genießen und den Tag ausklingen lassen. Erst hier bemerke ich das Fehlen meiner Wanderschuhe; Lektion 4, stelle nie deine Schuhe aufs Autodach, du wirst sie beim Wegfahren vergessen und verlieren.

Die E79 nach Blagoevgrad und weiter in den Süden ist gut ausgebaut (sie ist eine der Hauptverbindungen nach Griechenland), in Simitli zweigen wir aber wieder nach Osten ab, fahren über einen Pass nach Bansko und über weitere Seitenwege Richtung Goce Delcev. Am Abend wird es ziemlich kühl, unsere Navigationskünste wurden heute wieder arg strapaziert, ebenso die Bandscheiben. Das Auftauchen von Pferdefuhrwerken am nächsten Tag stimmt uns zuversichtlich, dass wir doch noch irgendeine Ortschaft erreichen werden; und es ist nicht irgendein Ort, sondern tatsächlich Breznica, wo wir auch hinwollten.

Auffällig ist hier der Tabakanbau, in Illinden an der griechischen Grenze, können wir Frauen beobachten, wie sie vor dem Haus sitzend, in mühevoller Handarbeit einzelne Tabakblätter auf Fäden aufreihen, die dann zum Trocknen unter schützendem Plastik aufgehängt werden. Auch hier gibt es eine „fast Autobahn“ nach Griechenland, unsere nagelneue Straßenkarte schweigt sich darüber aus.

Landschaftlich ändert sich hier das Bild; es sind nicht mehr vorwiegend grüne Wälder und saftige Wiesen, die das Aussehen bestimmen. Es wirkt schon sehr „griechisch“, kahle trockene Hügel und Gebüsch sind maßgebend.

Wir nehmen die Bergstraße immer der griechischen Grenze entlang Richtung Westen in Angriff. In Paril fragen wir, ob der Weg noch weiter befahrbar ist; der Mann begutachtet unser Auto und meint, es könne möglich sein, es sei aber schon lange niemand mehr hier gefahren. Wir probieren es. Bis zum höchsten Pass hinauf geht es auch ganz gut, immer wieder taucht der Stacheldrahtzaun auf, der die beiden Länder trennt. Nach der Passhöhe teilt sich der Weg mehrmals und Raten ist wieder angesagt. Es geht steil bergab, die Bodenverhältnisse wechseln von Erde zu Sand und Fels. Der Weg muss einfach stimmen, ans Zurückfahren möchten wir gar nicht denken! Wir sind im wahrsten Sinn des Wortes auf einen „Holzweg“ geraten; aus den steilen Hängen wird geschlägertes und schon geschnittenes Holz auf dem Rücken von Pferden bis zur nächsten Sammelstelle transportiert und von dort mittels kleiner Lastwägen, die eine riesige Bodenfreiheit aufweisen, weiter ins Tal, wo es wiederum auf große LKW umgeladen wird. In gleichem Maß wie sich unsere Körper beim Auftauchen der Schotterstraße entspannen wachsen die Augen in den verdutzten Gesichtern der Waldarbeiter beim Anblick unseres Autos. Wir grüßen freundlich und machen uns sprichwörtlich aus dem Staub.

Hinter Golesovo, einem halb verfallenem Dorf, übernachten wir auf einer Anhöhe und lassen unser heutiges Abenteuer bei mehreren Gläschen Wein Revue passieren.

Die weißen Flecken in der Landschaft entpuppen sich bei näherem Herankommen als Marmorblöcke, mehrere aufgelassene Steinbrüche zählen wir auf dem Weg nach Katunci, einem verschlafenen Dorf, wo wir neben Lebensmittel auch einen Schleifstein für die inzwischen stumpf gewordenen Messer kaufen, was aufgrund der Sprachbarriere gar nicht so einfach ist.

Inzwischen ist es wieder sehr heiß geworden, der Weg führt uns nach Pirin, einem Dorf in den Bergen gelegen, von wo aus wir das bekannte Melnik anfahren wollen. Schon tauchen die für dieses Gebiet berühmten Sandsteinformationen auf, wir planen noch eine Übernachtung am Weg ein, so haben wir dann am Morgen schönes Licht, um ein paar Fotos zu machen. So zumindest lautet der Plan.

Ein schöner Tag kündigt sich an, die Luft ist noch rein und klar, doch unerwarteterweise brauchen wir noch mehrere Stunden, um zu den Felsen von Melnik zu gelangen. Es gibt immer wieder Abzweigungen, die nicht ausgewiesen sind, und letztendlich gelangen wir nur mit Hilfe des GPS und der Darstellung am Notebook und nach einer eingeschobenen Mittagspause ans Ziel. In Melnik selbst ist alles auf Tourismus eingestellt; jedes Haus ist Hotel, Gaststätte, Weinkeller und Souvenirgeschäft zugleich. Wir spazieren durch den Ort, kaufen ein paar Kleinigkeiten, wir sollten wieder einmal Bargeld besorgen, doch der Bankomat steht auf „ne roboti“. Neben den hübsch hergerichteten alten Häusern und der Sandsteinlandschaft ist es vor allem der Wein, der diese Gegend bekannt gemacht hat. Nicht selten werden vor den Häusern Flaschenweine präsentiert, deren Preise das Wochen- oder gar Monatseinkommen der heimischen Bevölkerung übersteigen.

Gegen Abend fahren wir wieder bergaufwärts, wo wir die prächtige Landschaft und den Sonnenuntergang wie von einem Balkon aus genießen. Doch leider wird diese Idylle gestört: Ein Lada fährt vorbei, taucht nach zehn Minuten wieder auf, bleibt stehen. Zwei Männer in Zivilkleidung steigen aus, in forschem Ton schreien sie immer wieder „border police“, einer von ihnen hält mir einen Ausweis vor die Nase, nochmals „border police, your passports!“ Wir sind ziemlich verdutzt, ihr bestimmendes Auftreten lässt uns an ihrer „Echtheit“ zweifeln. Wieder hält er mir den Ausweis her, es könnte ebenso eine Jahreskarte für die Straßenbahn in Sofia sein. Zögernd überreichen wir die Pässe, „Ah, Austria“, meint einer von ihnen, uns macht es nur noch stutziger, denn eigentlich sieht man das beim ersten Blick auf das Autokennzeichen. Nach ausführlicher Begutachtung bekommen wir die Dokumente zurück, und die beiden steigen in ihr Auto und fahren weg. Bei uns bleibt ein flaues Gefühl in der Magengegend. Sollen wir wie geplant hier übernachten? Waren die wirklich von der Polizei? Kommen sie wieder?

In der Zwischenzeit ist es schon dunkel, wir beschließen etwa 300 Meter weiter unten auf einer ebenen Wiese zu bleiben. Außerdem reden wir uns ein, wollten uns die beiden ausrauben, so hätten sie dies auch gleich tun können, da müssten sie nicht auf die Dunkelheit warten.

Diese Nacht haben wir zwar nicht so gut geschlafen wie sonst, doch schon kurz nach dem Frühstück ist die Sache kein Thema mehr. Vielmehr wird uns bewusst, dass dies heute der letzte Tag ist, die vier Wochen sind wie im Flug vergangen.

In der Nähe des Rila-Klosters sehen wir uns noch die Pyramiden von Stob an, es sind Gebilde aus Sandstein. Auf einem Berg nahe von Kjustendil an der Grenze zu Mazedonien und Serbien verbringen wir die letzte Nacht.

Gegen vier Uhr in der Früh starten wir Richtung Heimat, irren eine Stunde lang in der Dunkelheit in Kjustendil umher (wer fährt von hier aus schon nach Serbien?), müssen uns einer äußerst peniblen Grenzkontrolle inklusive „Begehung“ des Dachträgers durch den zirka 120 kilogrammschweren Grenzbeamten unterziehen und können gleich nach der Grenze die wunderschöne Landschaft in diesem Winkel Serbiens im Vorbeifahren genießen. 15 Stunden später gönnen wir uns ein Bier auf der heimatlichen Terrasse.

Ab 2007 wird Bulgarien der EU angehören und als ärmstes EU-Land gelten. Abseits der Schwarzmeerküste und der Hauptverbindungswege sowie den wenigen touristischen Anziehungspunkten wie dem Rila-Kloster ist dieser Umstand und die Rückständigkeit des Landes auch deutlich sichtbar.

Landschaftlich gesehen hat Bulgarien eine Menge zu bieten und es ist unkompliziert individuell zu bereisen. Verlässt man die Hauptwege und wählt die unkonventionellen Verbindungen, ist „Offroaden“ an der Tagesordnung.
 

 
 
 

Text und Fotos: Dr. Günter Kuseschin

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 





 
(c) allradnews.at & gelaendewagen.at