"Die Karte kann nicht gelesen werden" oder "Die Transaktion
wurde abgebrochen", so die ernüchternden Rückmeldungen der
Bankomaten in Vidin, im nordwestlichsten Zipfel
Bulgariens. Mittlerweile ist es der dritte Automat, den ich
ausprobiere und der den Dienst versagt. Schweißgebadet und
vollkommen fertig stehe ich nach 15 Stunden Fahrzeit und 1.100
km bei Temperaturen um 35 Grad vor dem Bildschirm und fluche vor
mich hin. Das Auto verlangt nach Treibstoff, der
Tankstellenbetreiber nach Geld. Übliche Kreditkarten haben
abseits der Hauptverbindungsstrecken keinen Zweck, außer es ist
eine der Firma "Transcard". Inzwischen wird es auch schon
finster, um einen geeigneten Schlafplatz müssen wir uns auch
noch kümmern. Neben dem Ärger, dass wir zu keinem Geld kommen,
bleibt natürlich noch der beunruhigende Gedanke manipulierter
Ausgabeautomaten.
Die Anfahrt über Slowenien, Kroatien und Serbien ist bis
auf die erdrückende Hitze problemlos, das endlos lange schwarze
Asphaltband ist enorm aufgeheizt, die Sitzkästen beim Defender
verursachen bei Berührung Brandblasen. Zirka 50 € Mautgebühr
muss man für eine Strecke bereithalten. Wir überqueren nach der
serbischen Stadt Zajecar die Grenze und sofort werden uns
von bulgarischer Seite Rechnungen präsentiert; einmal für die
"Desinfektion" des Autos und dann noch für die Vignette,
die für die Nutzung des Straßennetzes Pflicht ist. Wir werden
auf die LKW-Spur verwiesen und befürchten lange Wartezeiten, das
Gegenteil ist der Fall; Ein Blick in die Pässe und auf die grüne
Versicherungskarte und schon hoppeln wir auf der von
Schlaglöchern übersäten Straße dahin. Die soeben in Neuauflage
erschienene Straßenkarte von freytag & berndt (Maßstab
1:400.000) dient nur der groben Orientierung und wird sich in
weiterer Folge als ziemlich fehlerhaft erweisen, die (wenn
überhaupt vorhandenen) Wegweiser in cyrillischer Schrift
geben uns Rätsel auf. Aber schon nach wenigen Tagen steigen wir
im Fach "Lesen" von der Vorschulklasse in die zumindest dritte
Klasse auf.
Nach den erfolglosen Versuchen Geld abzuheben und die auf der
Karte eingezeichneten Campingplätze zu finden fahren wir in
mittlerweile vollkommener Finsternis - in Bulgarien, so Lektion
1, schaltet man auch in der Nacht kein Licht beim Auto ein -
einen Feldweg hinein und legen uns sofort schlafen. Morgen
werden wir wieder klarere Gedanken fassen können.
Zeitig stehen wir auf und frühstücken, ein heißer Tag kündigt
sich an. Das Wichtigste: Wir brauchen Bargeld. Die Bank in
Dimovo, die laut Schild zwischen 8 Uhr und 11 Uhr geöffnet
ist, hat um 8:30 Uhr geschlossen, was bei einem darauf
angesprochenen Polizisten nur ein Schulterzucken hervorruft.
Schließlich in Belogradcik führt mich ein Wachbeamter von einer
bankomatlosen Bank zu einem Geldausgabeautomaten einer weiteren
Bank und übergibt mich dem dortigen Wachmann, unter dessen
Aufsicht ich endlich, wiederum nach einigen Fehlversuchen, die
ersehnten Scheine ausgespuckt bekomme. Was kostet die Welt? Wir
sind überglücklich, wir dachten schon trotz zweier Kredit- und
einer Bankomatkarte sind wir in diesem Land zahlungsunfähig. Die
Tankstelle im Ort macht mit uns das Geschäft ihres Lebens und
wir können uns im „Magazin“ mit frischem Brot, Käse und Gemüse
eindecken. Die Beträge für die Lebensmittel sind minimal, bei
unseren (bescheidenen) Ansprüchen ans Essen reichen zwei Euro
pro Tag, die Flasche besseren Weines, die zur allabendlichen
Gepflogenheit wird, kostet fast das dreifache.
Die Stadt Belogradcik liegt romantisch unterhalb von
bizarren Felsen, am Hügel oben drohnt eine riesige Burg umgeben
von einer noch mächtigeren Mauer. Wir wollen zum nahe gelegenen
See (jazero Rabisa), der nicht leicht zu finden ist,
vorerst landen wir bei einer der vielen erschlossenen, über
das Land verstreuten Höhlen, deren Zugang aber versperrt
ist.
Die Dörfer sind fast durchwegs in einem ziemlich desolatem
Zustand, kaum vorstellbar, dass hier noch jemand wohnt.
Verfallene Häuser, halb eingestürzte Dächer, in der Straße sind
mehr Löcher als durchgängiger Belag. Oft sind die Landstraßen in
einem besseren Zustand als im Dorf selbst, vielleicht ist dies
durch unterschiedliche Zuständigkeiten begründet.
Mit der Wasserversorgung werden wir kein Problem
haben; Immer wieder gibt es gefasste Brunnen am Wegrand mit
herrlich kühlem Trinkwasser, wo wir unseren Kanister auffüllen
können. In manchen Gegenden in den Rhodopen befinden sich
Brunnen oft sogar nur in 100 Meter Abständen, überall sprudelt
Wasser aus dem Berg. Auch in jedem Dorf lässt sich zumindest ein
Brunnen finden, manchmal besteht dieser nur aus einer Steinmauer
mit Rohr, manche sind schön mit Figuren verziert, an einigen ist
ein Spiegelchen angebracht und ganz im Süden stehen meist auch
Trinkbecher oder Häferl in einer Nische.
Auf einer Anhöhe direkt über dem See im Schatten von riesigen
Bäumen verbringen wir den Tag. Die Ufer sind ziemlich
verschlammt und laden nicht unbedingt zum Baden ein, auch das
Müll-Mitnehmen hat sich hier noch nicht ganz durchgesprochen.
Diese Erfahrung müssen wir zum Glück nicht überall machen.
Weiter südlich zeigt sich eine liebliche Landschaft, sanfte
Hügel, teils mit bebauten Feldern, teils bewaldet. Da und dort
sieht man Menschen am Feld arbeiten, die Pferdefuhrwerke mit
eisenbeschlagenen Holzrädern stehen am Rand, ein fast zu
idyllisches Bild, wüsste man nicht um die harte Arbeit zur
kargen Existenzsicherung Bescheid.
Im Geländegang kriechen wir ein steiles Felssträßchen hinauf
auf ein Stückchen Wiese, wo wir übernachten. Spät abends kommt
noch ein Pferdefuhrwerk mit einer Riesenladung Heu die Straße
herunter, unvorstellbar auf dem steinigen und mit tiefen Furchen
gezeichneten Weg.
Von Ciprovci geht es dann am nächsten Tag weiter nach
Martinovo, wir wollen auf einen Berg hinauf, in der Karte
ist eine Straße eingezeichnet, kurz nach dem Ort ist aber schon
Schluss: Mehrere Wege enden im Nirgendwo, wir nehmen
GPS-Empfänger und Notebook mit der Garmin-Topo-Karte zu Hilfe,
aber hier ist gar keine Straße eingezeichnet.
Südlich von Montana fahren wir auf einer Nebenstraße
in den Nationalpark „Vracanski Balkan“; Lektion 2, weiche
nie einem Schlagloch aus, sonst fährst du unweigerlich in zwei
andere. Der Bach, den wir zur Abkühlung nutzen, macht den heißen
Nachmittag erträglich. Nach dem Ort Gorno Ozirovo scheint
die Welt zu Ende zu sein: Ein tiefer Riss quer über die Straße,
dann lässt sich nur mehr erahnen, dass hier einmal der Weg
weiterführte. Kurz danach wird es wieder besser, allerdings ist
die Straße ziemlich zugewachsen, zum Rand hin immer wieder
abgebrochen, kaum mehr als eine Wagenbreite steht zur Verfügung.
Nach ca. 10 Kilometer ist der Pass erreicht. In der
Nord-Süd-Verbindung führt eine Asphaltstraße über den Pass,
unsere gewählte Route wird anscheinend nicht mehr verwendet. Wir
biegen nochmals in einen Seitenweg ab, wo wir dann an einem
schönen Platz den Rest des Tages verbringen und übernachten.
Zwei Dinge zeichnen sich jetzt schon ab: Das Übernachten
irgendwo in der Gegend, vor allem in den höheren Regionen,
stellt in diesem Land kein Problem dar. In vier Wochen müssen
wir keinen Campingplatz aufsuchen und auch kein Zimmer nehmen.
Und das Fahren auf unbefestigten Wegen oder auch abseits dieser
in allen Schwierigkeitsgraden steht auf der Tagesordnung. Und
das Alles noch dazu in schöner Landschaft. Das ist genau das,
was wir mögen.
Wieder unterwegs fahren wir über ein ausgedehntes Almgebiet auf
zirka 1400 m Höhe, kaufen im Dorf ein und probieren erstmals
Banica, das ist Schafkäse in Blätterteig, bulgarisches „fast-food“,
welches wir in Folge immer kaufen, wenn sich die Gelegenheit
ergibt. Südlich von Barzija geht es dann eine Passstraße
hinauf und auf einem Seitenweg weiter bis zum Fuß des Berges Kom,
hart an der serbischen Grenze.
Am nächsten Tag befahren wir weiter östlich die
Iskarschlucht, bei Gara Lakatnik „klebt“ eine kleine
Holzhütte weit oben in den steilen Felsen, bei Ljutibrod
gibt es die Ritlite, eine ungewöhnliche Felsformation –
wie aufgeschnittene Brotscheiben stehen hier die Felsen
nebeneinander, zu besichtigen. Die Hitze ist heute fast
unerträglich, nach groben Orientierungsproblemen schlagen wir
unser Lager in der Nähe von Teteven auf, wo wir uns im
Bach ordentlich waschen und abkühlen können. Apropos Lager
aufschlagen: Auch bei dieser Reise schlafen wir im umgebauten
110er; da die Alu-Kiste am Dach das wenig gebrauchte Zeugs
fasst und die Dinge zum täglichen Gebrauch im unteren Stauraum
Platz haben, können wir uns abends einfach hinten hinlegen ohne
etwas aufräumen zu müssen. Es ist für uns die optimale Lösung.
An der Tankstelle in Teteven müssen wir uns eine neue
Vignette besorgen, der Mann entwertet sie für das falsche (schon
abgelaufene) Monat und auf meine Reklamation hin locht er sie
einfach ein zweites Mal, das nennt man bulgarische Lösung. Wir
behalten die Rechnung auf, um eventuellen Komplikationen bei
Kontrollen vorzubeugen. Positiv überrascht bin ich vom
Dieselverbrauch, der trotz Dachträger und hoch darüber stehender
Alukiste bei neun Liter liegt. Bei der Anreise über die Autobahn
waren es doch 13 bis 14 Liter.
Diese Gegend hier scheint von inländischen Touristen
zu leben; es gibt viele Geschäfte und Restaurants,
Schwimmteiche und Pools mit Hütten zum Vermieten. Bei uns
würde es lächerlich wirken: Schwimmbecken in der Größe wie sie
zu Hause jeder Pool-Besitzer hat, werden hier zum Anlass
genommen, zehn Gästehütten aufzustellen und an Urlauber zu
vermieten.
Wir nehmen heute die Straße zur Berghütte des Vezen in
Angriff, leider spielt das Wetter nicht mit, es nieselt und
dichter Nebel versperrt uns großteils die Sicht. Wenigstens
haben wir eine Ausrede, um die restlichen Höhenmeter des auf
2.200 m gelegenen Gipfels nicht erwandern zu müssen.
Der nächste Tag wird der einzige komplett verregnete Tag
unseres gesamten Aufenthaltes werden. Wir verbringen ihn in
einem kleinen Seitental, wo sich die Neureichen ihre Chalets
hinbauen lassen. Am späteren Nachmittag suchen wir noch zwei
Gaststätten auf, wo wir uns jeweils für wenige Cents Kaffee und
Tee servieren lassen.
Die zwei Gebirgspässe, darunter der Trojanski-Pass
auf 1525 m Seehöhe, die wir heute unter die Räder nehmen,
versinken großteils im Nebel. In Trojan selbst, dem
größeren Ort in der Gegend, versorgen wir uns mit Lebensmittel
und Souvenirs, alle möglichen nützliche und auch unbrauchbare
Dinge aus Keramik werden hier angeboten. Der Preis ist so
niedrig, dass wir auf das Handeln vergessen, wahrscheinlich wäre
es aber angebracht gewesen.
Weiter südwestlich fahren wir durch Koprivstica, einen
herausgeputzten Touristenort ohne Touristen, bekannt wegen
seiner aufwendig gestalteten Häuserfassaden aus alter Zeit und
landen dann für zwei Nächte in der Nähe von Starosel auf
einer schön gelegenen Wiese mit Fließwasser, sprich einem Bach.
Einzig ein neugieriger Hirte mit seiner Schafherde kommt in
dieser Zeit vorbei.
Nach einem herrlichen Frühstück mit Spiegeleiern lernen wir die
Tücken des bulgarischen Straßenbaues kennen: Die
„Hauptstraße“ nach Starosel erweist sich als nicht
befahrbar, eine Winde oder ein Seilzug würden doch eine
gewisse Sicherheit geben, wenn man nur mit einem Auto unterwegs
ist. Wir können es gar nicht glauben und nehmen an der
Abzweigung doch den asphaltierten Weg, vielleicht stimmt ja
wieder einmal die Karte nicht, gelangen hier aber auf den
Berg Bogdan, wo die Straße endet. Also fahren wir retour auf
die Straße, wo wir vor zwei Tagen hergekommen sind. Wir halten
uns Richtung Süden, in Kricim fahren wir durch die über 40
Kilometer lange Schlucht des Flusses Vaca, wo an mehreren
Stellen Staumauern zur Energiegewinnung errichtet werden. Zirka
in der Mitte der Schlucht biegen wir nach Curukovo ab,
hinter dem Dorf wird der Weg miserabel, Bauarbeiter können uns
nicht wirklich Auskunft geben, wohin das Sträßchen führt. Es
fällt oft das Wort Persenik, laut der Karte gibt es einen
über 2000 Meter hohen Berg namens Golam Persenik,
eigentlich wollen wir da nicht hinauf und so übernachten wir auf
ungefähr 1500 Meter Seehöhe. Am nächsten Tag kehren wir um, über
eine Stunde brauchen wir für die zehn Kilometer zurück auf die
Hauptstraße. Bei Devin halten wir uns ostwärts, auf der
Karte sind sieben Tunnels eingezeichnet, in Wirklichkeit gibt es
keinen einzigen. Lektion 3, traue nie einer Karte, auch wenn sie
erst kürzlich neu aufgelegt wurde.
Siroka-Laka liegt auf 1000 Meter Höhe, auffällig
viele junge Menschen trifft man hier, es sieht ein bisschen nach
„Aussteigerort“ aus. Laut Reiseführer ist es ein überteuerter
Ort, die Häuser sind hübsch herausgeputzt, die Gaststätten und
Souvenirläden warten auf Touristen.
Bei Progled glaubt man dann, am Semmering zu stehen;
ein riesiges Skigebiet, Hotelburgen, rege Bautätigkeit,
im Winter muss es sich hier voll abspielen. Wir flüchten nach
Norden Richtung Laki, in der Nähe eines Observatoriums auf fast
2000 Meter finden wir ein angenehmes und ruhiges Plätzchen. Es
ist eine tolle Gebirgslandschaft, grüne Almwiesen wechseln mit
Wäldern und kleinen bebauten Feldern.
In Laki frischen wir Proviant auf, Wein ist besonders
wichtig, er ist nicht in jedem Ort zu bekommen. An die 25
verschiedene Weine werden wir am Ende unserer Reise probiert
haben und – wir sind zwar keine Weinkenner – sie munden
durchaus. Weiters steht heute noch auf dem Programm: Einmal grob
verfahren und einmal umkehren müssen wegen schwieriger
Wegverhältnisse. Analaog zur „Super Karpata“ könnte man hier die
„Super Rodopi“ veranstalten. In der Nähe von Manastir,
einem hübschen Bergdorf – hier gibt es übrigens die größte
„Brunnendichte – schlagen wir unser Lager auf und lassen uns das
selbst gekochte Essen schmecken. Der Abend klingt in
Gemeinschaft mit Tausenden von Fliegen, die das Auto als
Sitzplatz bevorzugen, und Dutzenden von Gelsen, die es eher auf
uns abgesehen haben, aus.
Am nächsten Morgen realisieren wir nach einigen Kilometern, dass
wir ziemlich im Kreis gefahren sind und das uns schon bekannte
Observatorium taucht wieder vor uns auf. Dutzende von
Mountainbikern mit Startnummern am Rücken sind heute in den
Waldwegen unterwegs, anscheinend sind wir mitten in ein Rennen
geplatzt. Die Wege, die wir heute befahren sind durchwegs in
sehr schlechtem Zustand, mal geht es durch den Wald, mal an
steilen Berghängen entlang durch kleine Siedlungen, auch das
kleinste Fleckchen wird hier landwirtschaftlich genutzt. Unsere
Stimmung ist heute etwas gereizt, Ingrid hat langsam genug von
den schlechten Wegen, die sie in andauernde Gespanntheit
versetzen und auch ich merke, dass es mir schon zuviel wird.
Schließlich in Rudozem, einem größeren Ort, treffen wir
beim Erfragen der Richtung auf einen etwas deutsch sprechenden
Mann, der uns aufgrund unserer Nummerntafel anlacht: Er sei
öfters in Graz, kaufe dort Autos und überstelle sie nach
Bulgarien, um sie wieder zu verkaufen.
Am nächsten Tag verbringen wir viele Stunden ganz geruhsam an
einem Bach bei schönstem Wetter und lassen uns die Sonne auf den
Bauch scheinen. Wir befinden uns in der Nähe von Smiljan,
am späteren Nachmittag besichtigen wir die Höhle Uchloviza
und bekommen eine „Privatführung“; eigentlich gibt es nur
Gruppenbesichtigungen, da aber für heute niemand mehr zu
erwarten ist und wir uns schon die 900 Meter zum Höhleneingang
hinauf gequält haben, machen die beiden Damen für die
Gegenleistung von 10 Lew eine Ausnahme. In perfektem Englisch
bekommen wir alles Wissenswerte und diverse Legenden erzählt,
und die Höhle mit all ihren Erscheinungsformen ist auch ziemlich
beeindruckend.
Erstmals haben wir hier eine Polizeikontrolle, mehrmals
spricht der Beamte seinen Satz „I am from the bulgarian police,
I want to check your identities“. Wir glauben ihm und übergeben
unsere Pässe, schließlich trägt er auch eine Warnweste mit der
Aufschrift „Police“ und laut Information des Außenministeriums
zeichnet in Bulgarien einen echten Polizisten eben das Tragen
einer Warnweste aus!
Auf dem weiteren Weg nach Smoljan kommen wir doch
wieder nicht den Tücken der bulgarischen Straßen aus:
Steil aufwärts geht der Weg, etwas mehr als Wagenbreite,
schließlich landen wir bei einem Bauernhof, es gibt keine
Umkehrmöglichkeit, ich muss rückwärts schieben, anscheinend war
unten bei der Abzweigung doch der noch schlechtere Weg der
richtige. Nun geht es in eine Art Hohlweg über, Längsfurchen,
Querrillen, steil hängende Kurven, der Dachträger sammelt die
tief herunterhängenden Äste ein, dann wird es felsig. Es gibt
kein Zurück mehr, ich trete voll ins Gas, die Reifen rauchen und
es stinkt fürchterlich nach Gummi, nun noch eine Böschung
hinauf, Vollgas, und wir stehen auf einer schön asphaltierten
Straße!
Einen Kilometer weiter – eine schöne Waldlichtung – wir sind
inzwischen wieder auf zirka 1.400 Meter angelangt, werden wir
die nächsten zwei Tage verbringen.
Smoljan selbst ist eine lebendige Stadt, in der
Fußgängerzone präsentieren sich die Menschen teils in
ausgefallener Kleidung und ungewöhnlichen Frisuren, die Frauen
sparen nicht mit Schminke, typisch östlicher Charme. Wir fühlen
uns gar nicht mehr wohl unter so vielen Menschen, erledigen die
notwendigen Einkäufe, telefonieren nach Hause und fahren weiter
in die Berge nahe zur griechischen Grenze. Nach einer
lange dauernden Polizeikontrolle (anscheinend waren es wieder
„echte“ Polizisten, sie tragen ja auch die Warnwesten!) fragen
wir in dem Dorf Mugla nach dem Weg, ein Junge meint, die
Brücke sei zerstört, es gäbe kein Weiterkommen. Wir denken uns
eine Brücke ist ja nicht unbedingt nötig, fahren wir eben durch
den Fluss, aber schon nach 4 Kilometern zeigt sich, was Sache
ist: Ein Felssturz macht die Weiterfahrt unmöglich. Links
geht es ungefähr 50 Meter senkrecht die Schlucht hinunter,
rechts der steile Felshang aus dem das Gestein heraus gebrochen
ist. Wir müssen umkehren. Schade – das wäre sicher ein traumhaft
schöner „Abstecher“ gewesen.
Wieder in Smoljan geht es weiter über einen Gebirgspass, wo
wir übernachten und am nächsten Tag nach Dospat, an einem
großen See gelegen, fahren. Zu unserem Mittagessen am See
gesellt sich ein Schafhirte mit dem wir uns ein bisschen
unterhalten können. Die Einladung in sein nur wenige Kilometer
entferntes Haus schlagen wir aus, wir möchten noch die Straße
entlang des Sees auskundschaften. Tiefblau liegt das Gewässer
da, umrandet von Bergen und Wäldern, die teilweise bis zum Ufer
reichen, ein wirklich idyllischer Anblick.
Einige Kilometer nach Sarnica am Ende des Sees beenden
wir diesen Tag. Unser Abendessen wird noch von einer Bäuerin,
die verzweifelt ihre Kuh sucht, unterbrochen. Sorgfältig
durchsucht sie die Wiese nach allfälligen Spuren, auch wir
können ihr nicht weiterhelfen. Die Gelsen und die aufkommende
feuchte Kälte treiben uns früh ins Bett.
Schon früh am Morgen marschieren rund 20 Frauen und Männer am
Auto vorbei; entweder gibt es weiter hinten noch Felder auf
denen sie arbeiten oder sie sammeln Beeren und Pilze, die sie
dann verkaufen. Auf unserer Weiterfahrt werden wir dann mit der
weit verbreiteten Armut des Landes und ihrer Menschen
konfrontiert: Ganze Siedlungen kleinster „Hütten“ aus
Tannenzweigen, notdürftig mit zerrissenem Plastik überdeckt,
säumen den Weg. Ist es für uns schon schwer vorstellbar wie die
Leute in den halb verfallenen Häusern, die in den ländlichen
Gegenden weit verbreitet sind, wohnen, so stehen diese Menschen
hier noch eine Stufe tiefer auf der Sozialleiter.
Die nächsten zwei Tage verbringen wir wieder an einem See, dem
jazero Batak. Einige Fischer haben hier ihre Zelte
aufgeschlagen, oft hat jeder von ihnen vier bis 5 Angeln zur
Aufsicht, trotzdem dauert es Stunden bis einmal ein verwertbarer
Fisch am Haken hängt. Leider wird hier viel Müll liegen
gelassen, sonst wäre es wohl ein Platz, der länger zum Verweilen
einlädt.
Auf dem Bauernmarkt in Velingrad füllen wir unsere
Vorräte, auch eine eigene Weinhandlung finden wir hier. Über den
Jundola-Pass gelangen wir zum jazero Belmeken und
würden wir eine Reihung der schönsten Plätze vornehmen, bekäme
dieser See wohl den ersten Platz. Etwas über 1.900 Höhenmeter
liegt der Stausee eingebettet zwischen 2.600 Meter hohen Bergen
im Nordwesten und 2.300 Meter hohen Bergen im Südosten. Eine
Schotterstraße führt am See entlang, dazwischen gibt es große
Wiesenflächen durchbrochen von Latschen, die zum Campieren
einladen.
Nach zwei geruhsamen Tagen an diesem wunderschönen Ort
bezwingen wir noch den über 2.000 Meter hohen Pass und fahren
nach Borovec. Wandertourismus im Sommer, Schitourismus
im Winter – hier herrscht reges Treiben – für uns Grund
genug weiter nach Beli Iskar und dann durch den
Rila-Nationalpark Richtung Süden zu fahren. Idyllisch führt
die Straße dem Gebirgsbach entlang, es gibt eine Fülle von
Rastplätzen, die heute am Sonntag und bei schönstem Sonnenschein
von vielen Einheimischen zum Grillen und Faulenzen genutzt
werden. Nach einigen Kilometern zwingt uns abermals die
fehlerhafte Landkarte zur Umkehr: Die Straße ist nicht
durchgängig nach Süden befahrbar (und sie war es auch nie),
ziemlich verärgert müssen wir unseren Plan verwerfen und uns
eine andere Route zusammenstellen.
Im Rila-Nationalpark merkt man erstmalig
Beschränkungen, die das abseits der Hauptstraße Fahren
betreffen: Angehäufte Erdhügel oder Ausbaggerungen verhindern
das Abbiegen in Seitenwege, auch Schranken sind da und
dort sichtbar. Es ist auch der bekannteste Park, kaum 100
Kilometer südlich der Millionenstadt Sofia gelegen.
Nach etwas Suchen finden wir doch noch ein schönes Plätzchen
direkt an einem Bach, wo wir noch die letzten Sonnenstrahlen
genießen und den Tag ausklingen lassen. Erst hier bemerke ich
das Fehlen meiner Wanderschuhe; Lektion 4, stelle nie deine
Schuhe aufs Autodach, du wirst sie beim Wegfahren vergessen und
verlieren.
Die E79 nach Blagoevgrad und weiter in den Süden ist gut
ausgebaut (sie ist eine der Hauptverbindungen nach
Griechenland), in Simitli zweigen wir aber wieder
nach Osten ab, fahren über einen Pass nach Bansko und
über weitere Seitenwege Richtung Goce Delcev. Am Abend
wird es ziemlich kühl, unsere Navigationskünste wurden heute
wieder arg strapaziert, ebenso die Bandscheiben. Das Auftauchen
von Pferdefuhrwerken am nächsten Tag stimmt uns zuversichtlich,
dass wir doch noch irgendeine Ortschaft erreichen werden; und es
ist nicht irgendein Ort, sondern tatsächlich Breznica, wo wir
auch hinwollten.
Auffällig ist hier der Tabakanbau, in Illinden an der
griechischen Grenze, können wir Frauen beobachten, wie sie vor
dem Haus sitzend, in mühevoller Handarbeit einzelne Tabakblätter
auf Fäden aufreihen, die dann zum Trocknen unter schützendem
Plastik aufgehängt werden. Auch hier gibt es eine „fast
Autobahn“ nach Griechenland, unsere nagelneue Straßenkarte
schweigt sich darüber aus.
Landschaftlich ändert sich hier das Bild; es sind nicht mehr
vorwiegend grüne Wälder und saftige Wiesen, die das Aussehen
bestimmen. Es wirkt schon sehr „griechisch“, kahle trockene
Hügel und Gebüsch sind maßgebend.
Wir nehmen die Bergstraße immer der griechischen Grenze
entlang Richtung Westen in Angriff. In Paril fragen wir,
ob der Weg noch weiter befahrbar ist; der Mann begutachtet unser
Auto und meint, es könne möglich sein, es sei aber schon lange
niemand mehr hier gefahren. Wir probieren es. Bis zum höchsten
Pass hinauf geht es auch ganz gut, immer wieder taucht der
Stacheldrahtzaun auf, der die beiden Länder trennt. Nach der
Passhöhe teilt sich der Weg mehrmals und Raten ist wieder
angesagt. Es geht steil bergab, die Bodenverhältnisse wechseln
von Erde zu Sand und Fels. Der Weg muss einfach stimmen, ans
Zurückfahren möchten wir gar nicht denken! Wir sind im wahrsten
Sinn des Wortes auf einen „Holzweg“ geraten; aus den steilen
Hängen wird geschlägertes und schon geschnittenes Holz auf dem
Rücken von Pferden bis zur nächsten Sammelstelle transportiert
und von dort mittels kleiner Lastwägen, die eine riesige
Bodenfreiheit aufweisen, weiter ins Tal, wo es wiederum auf
große LKW umgeladen wird. In gleichem Maß wie sich unsere Körper
beim Auftauchen der Schotterstraße entspannen wachsen die Augen
in den verdutzten Gesichtern der Waldarbeiter beim Anblick
unseres Autos. Wir grüßen freundlich und machen uns
sprichwörtlich aus dem Staub.
Hinter Golesovo, einem halb verfallenem Dorf,
übernachten wir auf einer Anhöhe und lassen unser heutiges
Abenteuer bei mehreren Gläschen Wein Revue passieren.
Die weißen Flecken in der Landschaft entpuppen sich bei näherem
Herankommen als Marmorblöcke, mehrere aufgelassene
Steinbrüche zählen wir auf dem Weg nach Katunci,
einem verschlafenen Dorf, wo wir neben Lebensmittel auch einen
Schleifstein für die inzwischen stumpf gewordenen Messer kaufen,
was aufgrund der Sprachbarriere gar nicht so einfach ist.
Inzwischen ist es wieder sehr heiß geworden, der Weg führt
uns nach Pirin, einem Dorf in den Bergen gelegen, von wo
aus wir das bekannte Melnik anfahren wollen. Schon
tauchen die für dieses Gebiet berühmten Sandsteinformationen
auf, wir planen noch eine Übernachtung am Weg ein, so haben wir
dann am Morgen schönes Licht, um ein paar Fotos zu machen. So
zumindest lautet der Plan.
Ein schöner Tag kündigt sich an, die Luft ist noch rein und
klar, doch unerwarteterweise brauchen wir noch mehrere Stunden,
um zu den Felsen von Melnik zu gelangen. Es gibt immer wieder
Abzweigungen, die nicht ausgewiesen sind, und letztendlich
gelangen wir nur mit Hilfe des GPS und der Darstellung am
Notebook und nach einer eingeschobenen Mittagspause ans Ziel. In
Melnik selbst ist alles auf Tourismus eingestellt; jedes
Haus ist Hotel, Gaststätte, Weinkeller und Souvenirgeschäft
zugleich. Wir spazieren durch den Ort, kaufen ein paar
Kleinigkeiten, wir sollten wieder einmal Bargeld besorgen, doch
der Bankomat steht auf „ne roboti“. Neben den hübsch
hergerichteten alten Häusern und der Sandsteinlandschaft ist es
vor allem der Wein, der diese Gegend bekannt gemacht hat. Nicht
selten werden vor den Häusern Flaschenweine präsentiert, deren
Preise das Wochen- oder gar Monatseinkommen der heimischen
Bevölkerung übersteigen.
Gegen Abend fahren wir wieder bergaufwärts, wo wir die
prächtige Landschaft und den Sonnenuntergang wie von einem
Balkon aus genießen. Doch leider wird diese Idylle gestört: Ein
Lada fährt vorbei, taucht nach zehn Minuten wieder auf, bleibt
stehen. Zwei Männer in Zivilkleidung steigen aus, in forschem
Ton schreien sie immer wieder „border police“, einer von
ihnen hält mir einen Ausweis vor die Nase, nochmals „border
police, your passports!“ Wir sind ziemlich verdutzt, ihr
bestimmendes Auftreten lässt uns an ihrer „Echtheit“ zweifeln.
Wieder hält er mir den Ausweis her, es könnte ebenso eine
Jahreskarte für die Straßenbahn in Sofia sein. Zögernd
überreichen wir die Pässe, „Ah, Austria“, meint einer von ihnen,
uns macht es nur noch stutziger, denn eigentlich sieht man das
beim ersten Blick auf das Autokennzeichen. Nach ausführlicher
Begutachtung bekommen wir die Dokumente zurück, und die beiden
steigen in ihr Auto und fahren weg. Bei uns bleibt ein flaues
Gefühl in der Magengegend. Sollen wir wie geplant hier
übernachten? Waren die wirklich von der Polizei? Kommen sie
wieder?
In der Zwischenzeit ist es schon dunkel, wir beschließen etwa
300 Meter weiter unten auf einer ebenen Wiese zu bleiben.
Außerdem reden wir uns ein, wollten uns die beiden ausrauben, so
hätten sie dies auch gleich tun können, da müssten sie nicht auf
die Dunkelheit warten.
Diese Nacht haben wir zwar nicht so gut geschlafen wie sonst,
doch schon kurz nach dem Frühstück ist die Sache kein Thema
mehr. Vielmehr wird uns bewusst, dass dies heute der letzte Tag
ist, die vier Wochen sind wie im Flug vergangen.
In der Nähe des Rila-Klosters sehen wir uns noch die
Pyramiden von Stob an, es sind Gebilde aus Sandstein.
Auf einem Berg nahe von Kjustendil an der Grenze zu
Mazedonien und Serbien verbringen wir die letzte Nacht.
Gegen vier Uhr in der Früh starten wir Richtung Heimat,
irren eine Stunde lang in der Dunkelheit in Kjustendil umher
(wer fährt von hier aus schon nach Serbien?), müssen uns einer
äußerst peniblen Grenzkontrolle inklusive „Begehung“ des
Dachträgers durch den zirka 120 kilogrammschweren Grenzbeamten
unterziehen und können gleich nach der Grenze die wunderschöne
Landschaft in diesem Winkel Serbiens im Vorbeifahren genießen.
15 Stunden später gönnen wir uns ein Bier auf der heimatlichen
Terrasse.
Ab 2007 wird Bulgarien der EU angehören und als
ärmstes EU-Land gelten. Abseits der Schwarzmeerküste und der
Hauptverbindungswege sowie den wenigen touristischen
Anziehungspunkten wie dem Rila-Kloster ist dieser Umstand und
die Rückständigkeit des Landes auch deutlich sichtbar.
Landschaftlich gesehen hat Bulgarien eine Menge zu bieten
und es ist unkompliziert individuell zu bereisen.
Verlässt man die Hauptwege und wählt die unkonventionellen
Verbindungen, ist „Offroaden“ an der Tagesordnung.
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