GELAENDEWAGEN.AT Blog
Out of Birmingham
Die Geschichte eines Autokaufs der anderen Art
Über ebay ein Auto "blind" in England ausgewählt, von dort abgeholt und damit in einem Tag 1.600 Kilometer nach Hause gefahren. Eine Mini-Odyssee à la James Joyce. Mit Happy End.
30.05.2016
Stattlich und feist erschien er am Treppenaustritt. Joyce hätte seine Freude gehabt. Doch es war nicht Buck Mulligan, Lebemann aus dem Jahrtausendwerk "Ulysses", sondern Michael "Mick" Harvey, der da im Tripple-X-Overall aus der Halle des Birminghamer Stahlwerks trat.

Erster Blickkontakt mit dem Cruiser
Ich hatte schon einen ersten Blick auf das Auto geworfen. "I told you it's not a beauty, but it never misses a beat". Er grinste durch seinen Rauschebart. Ich schätzte ihn auf gut und gern 150 Kilo. Seine Lesebrille, von simplem Spagat gehalten, ruhte sanft auf seinem mächtigen Bauch. Der weinrote Toyota Land Cruiser war der Grund meines Besuches. Mick hatte ihn auf ebay angeboten. Und weil er von 143 von 144 seiner Kontakte mit fünf Sternen in der Verkaufsabwicklung bedacht worden war, hatte ich diesen "Long Distance Kauf" riskiert.

Ost-Birmingham. Mühsamer Anflug mit German Wings via Düsseldorf. Der Taxifahrer, der mich zur Landor Street zum Stahlwerk bringen sollte, war skeptisch. Noch nie hatte er einen Touristen direkt vom Flughafen in die schäbigste Gegend Birminghams kutschiert. Den Grund meines Besuches - ein Autokauf ?! - verstand er noch weniger. Mit dem vorher nie gesehenen Auto wollte ich jetzt nach Hause fahren? Bis nach Australien? "Austria", wiederholte ich ihm. Er schien ansatzweise zu verstehen, dass dies doch nicht ganz so weit wäre. Der gute Mann wartete dann in seinem Taxi, bis ich sicher die Straße überquert und unbeschadet den Hof des Stahlwerks betreten hatte.

Dort stand der Land Cruiser. Ein HDJ80, der mir als Ersatzteilspender für das "PROJECT75"-Rallyeauto dienen sollte. Und Mick, am Treppenaustritt. Motor und Getriebe seien in Ordnung, hatte er gesagt. Den Rest, die zerbeulte Karosserie, das - wie soll man es nennen - etwas ungepflegte Interieur, und all die anderen No-Gos für die bisherigen Interessenten hatte er mir per Mail und per SMS in allen Einzelheiten beschrieben.

Eine kurze Probefahrt, drei Mal um den Block. Alle Gänge durchgeschaltet. Passt. Gekauft. Die Kennzeichen bleiben in England für immer am Wagen, die Versicherung war noch gültig. Mick war über den Packen 50-Pfund-Noten glücklich. Also konnte es direkt losgehen. Um 5 am Nachmittag hatte ich ihn getroffen, um 6 enterte ich den Rechtsgesteuerten, der fast 2 Jahre nicht bewegt worden war - und fuhr los. Heading home.

In einem Tag war Leopold Bloom im "Ulysses" durch das Dublin des frühen 20. Jahrhunderts gewandert. Ein Klacks - ich wollte in einem Tag mit dem Land Cruiser wieder in Österreich sein. Für zwei Uhr Früh hatte ich die Fähre von Dover nach Dünkirchen gebucht. Genug Zeit also für die rund 300 Kilometer bis zur Südküste, selbst wenn die berüchtigte M25 rund um London ihren Ruf als Staufalle gerecht werden sollte.

Dem Verkehrsdschungel in Birmingham entkam ich flott - dann: Motorway. Der alte Sechszylinder-Diesel mit 4,2 Litern Hubraum lief sich langsam frei, das Schaltgetriebe funktionierte wirklich gut. Ein wenig beunruhigend war das quietschend-scharrende Geräusch von rechts hinten beim Bremsen. Beim ersten Tankstopp dann dieser bekannt-unangenehme Geruch von heißen Bremsen. Wer bremst, verliert bekanntlich sowieso, redete ich mir ein.

In erstaunlichen 3 Stunden 45 Minuten hatte ich dennoch Dover erreicht. Das blass-arrogante Mäderl am Fährschalter blickte mich über Ihren Brillenrand streng an: "Sie sind aber sehr zeitig hier", sagte sie und bearbeitete daraufhin minutenlang Ihre Tastatur. Dann reichte sie mir einen Zettel ins Auto: "Ich habe Sie auf der 22-Uhr-Fähre eingecheckt. Gate 14." Ich schaute auf die Uhr: Es war sieben vor Zehn.

Ich ließ den Turbo tief atmen und suchte dieses verdammte Gate 14. Um 22:01 Uhr hatte ich es gefunden. Ein hektischer Dockie wachelte mich zur Seite und fragte mich, ob ich ein Ticket hätte. Wäre ich sonst hier? Hinter all den Schranken? Ok, sagte er, ich solle zur Seite fahren, vorher müsse er noch ein paar Trucks aufs Schiff lassen. Es wurden derer fünfzig. Das Schiff schluckte sie wie ein riesiger Walfisch den Krill. Als mich Mr. Hektik dann endlich als allerallerletztes Auto an Bord lassen wollte, blockierte die Bremse. Erraten, die rechts hinten. Es war 22:15 Uhr. Ich gab Gas und fuhr mit kreischender Bremse an Bord. Im Laderaum qualmte es. Rauch an Bord? Nein, Rauch aus dem Land Cruiser. Der Bremsengeruch legte sich über das gesamte Deck. Jemand kam mit einem Feuerlöscher gelaufen. Alles halb so schlimm, sagte ich, versperrte das Auto und ging aufs Passagierdeck.

Trubel, Party, Gröhlen, Saufgelage an Bord. Franzosen wie Engländer begrüßten auf ihre Art das bevorstehende Wochenende. Ich hatte mir zum Glück um 10 Euro ein Ticket für die VIP-Lounge gekauft. Die "enjoy free drinks and luxury"-Lounge entpuppte sich als überklimatisierter Raum mit unterbesetztem Buffet. Ich schnappte mir das letzte Cookie, probierte den Chemie-Cocktail, der als "Cranberry Juice" angeboten wurde. Aus dem Kaffeeautomaten floss eine amorphe, braun-graue Masse. Eingekochtes Abwaschwasser.

Die einzigen beiden Anwesenden in der Lounge - zwei britische Gentleman - wurden lauter, wie ihre mitgebrachte Whisky-Flasche leerer wurde. An Schlafen war nicht zu denken. Es galt, 2 Stunden Überfahrt irgendwie zu überstehen.

Jetzt, angesichts des Bremsen-Problems, musste ein Plan B her: Ich fasste den Entschluss, mit dem Auto irgendwie vom Schiff zu kommen, dann die Nacht im Hafen zu verbringen und mir am Morgen eine Werkstatt zu suchen. Als die Fähre dann anlegte, holte ich mir noch einen Becher Abwaschwasser.

Nachdem der Walfisch in Dünkirchen angelegt hatte, dauerte es nur 10 Minuten, bis er begann, seinen gigantischen Mageninhalt an Trucks, Wohnmobilen und PKWs an Land zu spucken. Ich startete den Cruiser - und siehe da, die Bremse löste sich. Unbeschwert und ungebremst konnte ich von Bord fahren, der Mageninhalt wurde sauber auf die nahe Autobahn kanalisiert. Also doch kein Plan B nötig?

Ich fuhr einfach. Das Abwaschwasser - vielleicht auch der Rest-Adrenalingehalt im Blut - wirkte. Ich war fit. Und fuhr durch die Nacht, vorbei an Ostende, an Brügge, an Gent, an Brüssel. Bis viertelfünf.
Irgendwo in Mittelbelgien parkte ich mich dann auf einer Raststation zwischen die Trucks und probierte die Liegesitze des Cruisers. Gar nicht unbequem. 30 Minuten Dösen waren mir gegönnt, dann starteten die ersten Trucker ihre Motoren. Und ließen sie in guter Tradition zehn Minuten laufen, bevor sie losfuhren. Deja vu - an Schlaf war nicht zu denken.

In Wasserbillig ist auch der Sprit billig
Das Restaurant an der Raststation hatte zum Glück schon offen. Glücklich schlürfte ich einen genialen Vierfach-Espresso, enterte den Cruiser. Next stop: Wasserbillig, Luxemburg. In Wasserbillig ist auch der Sprit billig. Die kleine luxemburgische Ortschaft nahe der deutschen Grenze ist für billigen Sprit, billigen Schnaps und billige Rauchwaren bekannt. Sie lebt zu einem hohen Prozentsatz von deutschen Tanktouristen.

Der laut Navi eine Stunde dauernde Trip dauerte dann derer zwei. Die Tanktouris waren schon da. Stau. Letztlich ergatterte ich einmal Volltanken um wohlfeile 95 Cent pro Liter. Beim Verlassen der Tankstelle blockierte kurz die Bremse. Im Rückspiegel war blau-grauer Rauch zu sehen. Nicht von den Bremsen, sondern aus dem Auspuff. Hurra. Noch 908 Kilometer bis nach Hause.

Dann, die unfassbar mühsame deutsche Autobahn.
Zu 98 Prozent zweispurig. Rechts in kilometerlangen Mega-Kolonnen die LKWs wie auf einer Perlschnur aufgereiht. Links die hektischen Audi-, Mercedes- und BMW-Rowdys. Die Wahl zwischen den 85 km/h der LKWs rechts oder der Partizipation am Wahnsinn der Linksspur-Fahrer. Spurwechsel zum Überholen wird mit Drängeln, Blinken und Hupen quittiert. Der Land Cruiser nahm's gelassen, ich weniger. Ab Nürnberg wurde es zum Glück etwas gelassener, weil wohl bayerischer. Der Cruiser lief. Soff wie ein Loch, rauchte wie ein Birminghamer Industrie-Schlot. Aber fuhr. Unaufhaltsam, gelassen, sanft blubbernd. Ich lauschte auf Geräusche von rechts hinten. Nichts zu hören.

Es war heiß, keine Klimaanlage an Bord. Die Müdigkeit nagte sich kontinuierlich in Hirn und Knochen. Noch 500 Kilometer. 4 Uhr am Nachmittag. Ich entschied, meine letzte bekannte "Service-Station" anzusteuern - Brüssel war die erste, die Oberpfalz die mittlere. In Wels, relativ knapp nach der deutschen Grenze, kenne ich dank meiner alten Verbundenheit zum "4WD-Magazin" noch genügend Leute, die mir und meinem bremsgeschädigten Auto helfen könnten, wenn es notwendig wäre.

Home, Boys…
Willkommen in der Gegenwart. Geschafft, ich bin in Österreich. Runter von der Autobahn, Checkin in meinem Standard-Hotel. Bei der Einfahrt zum Hotel-Parkplatz raucht es rechts hinten. Noch 200 Kilometer bis nach Hause. Aber nicht mehr heute.

Ich bin happy, habe es bis Österreich geschafft, jetzt kann nicht mehr viel schief gehen. Endlich eine Dusche, ich packe mein zweites (und letztes) T-Shirt aus.

Am Welser Stadtplatz geht's rund. Ich bestelle mir eine Halbe und dann noch eine. Feiere meine Zielankunft mit mir alleine. Die Welser Jung-Prinzessinnen stolzieren aufgebrezelt in rustikalem Selbstbewusstsein und bereit für Friday-Night an mir vorbei. Mir ist's egal. Der Burger ("wollen Sie ihn medium?") wird statt mit Zwiebeln mit Roten Rüben serviert. Ich staune, esse aber genüsslich. Could be worse.

Es ist knapp 7 am Abend, ich brauche Schlaf. Zurück im Hotelzimmer stelle ich mir den Wecker auf 10. Vielleicht geh' ich dann noch fort und treffe ein paar alte Bekannte. Als es um 10 dann bimmelt, drehe ich den Wecker aus dem Handgelenk heraus, ohne die Bauchlage zu verändern, einfach ab. Und schlafe bis 9 in der Früh.

Der Hotelparkplatz riecht nach verbrannten Bremsen. Die letzte Etappe steht an. Wels bis Wien, lächerliche 200 Kilometer auf der A1. Ich cruise den Cruiser mit 60 Meilen towards Wien. Die Sonne leuchtet mir den Weg nach Hause.

Bei Pressbaum fahre ich von der Autobahn ab. Gondle mit 30 Meilen durch die Ortschaft. Ich habe es wirklich geschafft. Mit heruntergelassener Scheibe winke ich den Passanten bei meiner Parade lächelnd mit majestätischem Gruß zu. Die schauen nur deppat, einer gibt mir den Scheibenwischergruß mit auf den Weg. Hand vor die Stirn und damit nach links und rechts gewachelt. Ich freue mich.

Zu Hause angekommen werde ich begrüßt, als käme ich von einer mehrjährigen Weltreise zurück. Just call me Ulysses. Oder so.

Fotos: GELAENDEWAGEN.AT
Text: Michael Kubicek


Werbung