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Hamburg, St. Pauli. Wolfgang brummelt in sein Glas "Astra". Norwegen und Schweden will er verklagen. Estland vielleicht auch. Und Finnland sowieso. Weil wir in den letzten 13 Tagen 8.000 Kilometer Etappe gefahren sind, an tausend Elch-Warnschildern vorbeigefahren sind, aber nur 2 "echte" Elche gesehen haben. Noch dazu nur ein Jungtier ("das hat ausg'schaut wie ein deppat's Rentier") und ein Männchen mit nur ganz klitzekleinem Geweih.
Das sind doch potemkinsche Schilder, ist Vorspiegelung falscher Tatsachen, fast Betrug?!
Er nimmt sein Glas, schaut skeptisch hinein: "Und wo ist jetzt das gute Hamburger Bier, das du mir versprochen hast? Alter Schwede..." Astra halt. In Hamburg das Touristen-Bier, das kein Einheimischer freiwillig säuft.
10.237 Kilometer in einem Youngtimer-Pickup
Im Laufe des Abends steigt dann seine Laune wieder, weil auch die Bierqualität steigt. Bei feinem Pils aus dem Fass haben wir zum ersten Mal nach zwei Wochen Zeit, die zurückliegenden Tage Revue passieren zu lassen.
Wir sind wieder zurück in Hamburg. Haben diese Tour geschafft, 10.237 Kilometer waren’s zum Schluss inklusive Hin- und Rückfahrt von Wien nach Hamburg.
Durch ganz Skandinavien sind wir gefahren, über die Lofoten und das Nordkap, durch die baltischen Staaten. Letztendlich durch die polnischen Masuren, Kaliningrad umschiffend. Und durch Mecklenburg-Vorpommern zurück nach Hamburg. Da war mehr, viel mehr als nur abwesende Elche.
Da war der pompös inszenierte Showstart direkt am Hamburger Fischmarkt. 250 zum Großteil exotische Autos traten die Mega-Rundreise an. Hunderte Zuschauer, ein echtes Jahrmarkt-Spektakel.
Da war die freie Routenwahl zu den jeweiligen Zwischenzielen, sodass sich die Teilnehmer schon nach kurzer Zeit auf tausende Quadratkilometer verteilt hatten.
GPS-Tracker machten es möglich, dass wir ihre Positionen live im Web verfolgen konnten. So waren wir bei der Rallye live dabei, aber doch nicht mittendrin: Auf manchen Etappen bekamen wir kein einziges anderes Teilnehmerfahrzeug zu Gesicht.
Auch deshalb, weil wir uns immer die kleinsten, zumeist unbefestigten Wege suchten. So kam es schon ‘mal vor, dass wir für eine 700 Kilometer lange Tagesetappe 13 Stunden brauchten. Schlamm, nasser Sand und Modder panierten sukzessive unser Auto. Und uns.
Da waren die Tage des Wildcampens, der abendlichen Lagerfeuer. Die Abende, die nicht zur Nacht wurden. Die Mittsommernachtswende, die wir unter einer Plane verbrachten, weil der Abend nur flüssigen Sonnenschein für uns parat hatte. Aber auch die Tage des In-Seen-, In-Flüssen- und Im-Meer-Badens.
Des Speck-und Spiegeleier-Bratens bei mittäglichen Stopps. Die fantastische Einsamkeit eines halben Kontinents, die unglaublichen Sonnenuntergänge, die eigentlich keine sind.
Da war Mittelschweden, das wir über Dänemark und die unfassbare, fast 8 Kilometer lange Öresund-Brücke erreichten.
Der Waldboden in Mittelschweden wasservollgesogen, unsere Schuhe auch. Unvorstellbar in unserer Erlebniswelt, dass nur wenige Wochen nach unserer Durchquerung dort Waldbrände wüteten.
Da waren die Lofoten mit ihren weißen Sandstränden. Optisch Karibik. Wettertechnisch ungefähr Südsibirien.
Das Nordkap, auch bei unserem Besuch gut vom Nebel versteckt. 330 Tage im Jahr gibt es dort die trübe Suppe. Um diese genießen zu dürfen, muss man sein Auto am Parkplatz abstellen. 55 Euro kostet das. Fünf-und-fünfzig.
Wie Ameisen auf dem Fußballplatz
Da war Finnland mit seinen endlosen Wäldern (Zitat Wolfgang: „Ich komm‘ mir vor wie eine Ameise auf dem Fußballplatz“), seinen 101.238 Seen. Die meisten von ihnen unverhüttelt-einsam. Die Strände und Sandbänke menschenleer, dank skandinavischem „Jedermannsrecht“ von jedermann für eine Nacht besiedelbar - ohne Angst, der Landstreicherei bezichtigt zu werdenn.
Die 3-Sterne-Küche abends, basierend auf einer Grillplatte auf dem Lagerfeuer und unserem guten, alten Coleman-Benzinkocher. Lachs vom Grill mit Foliengemüse und Folienerdäpfeln, zum Beispiel. Wenn das Wetter mitspielte.
Alternativ gab’s zur Not auch ‘mal Packlsuppe. Weil uns, zum Beispiel, wikingerstarker Wind und Regen das Lagerfeuer auslöschten. Schwammerl sollen drin gewesen sein, in der Suppe. Geschmeckt hat’s nach – na ja.
Auf Wolfgangs Fotos war die Landschaft bis hin zu den Grashalmen chillischarf, der bewegte Hilux leider nie.
Da war Estland mit seinen großartigen, einsamen Stränden. Abends - gegen 23 Uhr – pflügte ich mit unserem Hilux durch den Sand. Nicht aus ökoschweinischen Motiven, sondern weil die wenigen Bauern hier mit ihren Traktoren das Gleiche machen.
Beim Dünendriften manifestierte sich leider eindrucksvoll, dass Wolfgang nicht fotografieren kann. Auf seinen Fotos war die Landschaft bis hin zu den Grashalmen chillischarf, der bewegte Hilux leider nie.
Ich verweigerte daraufhin aus Frust die „gemeinsame Nacht“ im Zelt und schlief in den Dünen. Die Stechmücken dankten es mir. Um 2 Uhr in der Frühe schien mir die Sonne auf den Schlafsack. Der war trotzdem patschnass.
Reisefreiheit
Da war die fantastische, fast unbeschränkte Reisefreiheit durch das Vereinte Europa. Kein einziges Mal wurden wir aufgehalten und von der Polizei kontrolliert. Doch, einmal, doch das sollten wir erst nach unserer Zielankunft in Hamburg erfahren: Nach exakt 10.004 Kilometern „on tour“. Auf österreichischem Boden. Das dauerte dann. Wegen unseres durchaus als verwildert zu bezeichnenden Gesamtzustands und der daraus resultierenden erkennungskriminalistischen Online-Abfrage unserer Freunde und Helfer.
Da wir in der siebenten Kiste rechts ganz unten nach dreißig Minuten schließlich auch noch das amtlich genehme Verbandspackerl fanden (die Mega-Erste-Hilfe-Box, ganz oben verpackt, reichte nicht), durften wir schließlich auch die restlichen 233 Kilometer bis nach Haus antreten. Danke schön, sagten wir und spendeten den Polizisten zur Verabschiedung einen kleinen Aphorismus: „Seine Heimat lernt man am gründlichsten in fremden Ländern kennen“.
Hamburg, St.Pauli. Halb zwei in der Nacht. Die Kellnerin kommt zum Abkassieren. "Darf's ‘n letztes Bierchen sein? Ein Astra auf's Haus?" Wolfgang schaut sie an wie einen silbernen Autobus. "Gemma", sagt er, "morgen müssen wir noch nach Wien fahren." Und dann: „War schon eine coole Tour.“ Vielleicht überlegt er sich’s ja noch mit den Klagen.
Das "Dreamteam": Wolfgang Plank, Michael Kubicek
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